Freudsche Psychoanalyse

 

Psychische Antriebe
Das Gewissen oder: Was wir nicht wissen wollen

Das Über-Ich oder: Die Angst vor Strafe


Das Über-Ich ist dem Menschen nicht angeboren, sondern bildet sich heraus als eine Repräsentation der vom Kind (nota bene!) subjektiv erlebten Bestrafung durch die Eltern. Dieses »strafende« Eltern-Imago wird vom kleinen Menschen internalisiert und erscheint (falls vorhanden) bei älteren Kindern bereits als eigene »innere Stimme«, die dem Kind das verbietet, von dem es annimmt, daß es die Eltern verbieten würden. Jedoch ist das Über-Ich nicht einfach ein Abbild der elterlichen Verbote (durch diese wird es nur ins Leben gerufen), sondern wird durch eine eigene Dynamik gespeist.

Die triebhafte Aggression sucht sich, wenn sie nicht direkt ausgelebt und auf die Außenwelt gerichtet werden kann, einen Ausweg: sie richtet sich (bei der Neurose) gegen die Person selbst und »bedient« sich dabei des Über-Ichs, das sich ja strafend gegenüber dem Ich verhält. Dies kann in bestimmten Fällen zu schweren Depressionen führen: Die triebhafte Aggression wird ins Über-Ich geleitet, das wiederum das Ausleben der trielbhaften Aggression unterdrückt, diese sucht sich den Ausweg über das Uber-Ich und so weiter, so daß immer

weniger von der triebhaften Aggression nach außen und immer mehr davon ins Über-Ich »gepumpt« wird. Dieser Teufelskreis kann dazu führen, daß der Mensch gänzlich außerstande wird, jegliche Aggression nach außen zu richten, was bedeutet, daß er zu keiner Aktivität mehr fähig ist und das Bild eines schwer Depressiven zeigt: Er vrmag nicht mehr aus dem Bett aufzustehen

oder etwas zu sagen, nicht einmal zu denken. Seine gesamte triebafte Aggression ist in das Über-Ich umgeleitet woden, von wo aus ein so großes Maß an Aggression auf das Ich des Menschen niederprasselt, daß der Mensch keinerlei Selbsterhaltungstrieb mehr hat oder sich sogar selbst umbringt.

Durch die Internalisierung der Bestrafung als Über-Ich werden Impulse unterdrückt, die sonst durch die Intelligenz und Räalitätswahrnehmung des Ich dazu angewendet werden könnten, anderen zu schaden. So unterdrückt das Über-Ich zum Teil auch bereits den Wunsch im Menschen, anderen zu schaden oder einfach »Böses« zu tun. Auf manchen Parkverbotschildern in New York sah ich die Aufforderung: "Do not even think of parking here!"

In manchen Fällen steht das Über-Ich im Dienste der Triebe, so daß dieser Mensch alles für moralisch gerechtfertigt hält, was er will. Auf diese Weise leistet sich dieser Mensch einen großen Lustgewinn, weil er zugleich seine triebhafte Aggression und sein Über-Ich befriedigen kann, indem er jemanden verfolgt oder etwas zerstört. Das ist der Fall z.B. bei rechtsradikalen Gewalttätern

und allen Extremisten und Fanatikern. Ein solcher Mensch empfindet nie Schuldgefühle.

Schuldgefühle empfindet der Mensch, wenn er Skrupel, also Gewissensbisse hat, die seine Impulse hemmen, die anderen schaden würden. ES ist jedem Menschen aufgrund seiner Triebhaftigkeit eigen, Bedürfnisse zu haben, die für andere schädlich wären. Die Fähigkeit zu Schuldgefühlen ist also ein

Zeichen menschlicher und psychischer Reife. Das ist der Grund, warum das Paradigma der Psychoanalyse die Ödipus-Saga von Sophokles ist. Da diese triebhaften Affekte immer im Menschen vorhanden sind, werden einen psychisch reifen Menschen mehr oder weniger immer Schuldgefühle plagen, weil er ein ausgebildetes Gewissen besitzt, das ständig diese triebhaften Impulse abwehren muß. Das Über-Ich wirkt wie eine Polizei im eigenen Kopf. Und vergleichbar einem Diabetiker, der nicht genug körpereigenes Insulin produziert, müssen einem Menschen ohne Gewissen, der nicht genug eigene Polizeikräfte im Kopf hat, diese von außen zugeführt werden. Wenn das Selbstbild des Menschen nicht mit seinem Über-Ich übereinstimmt, empfindet er die Schuld. Entfernt sich der Mensch von seinem Über-Ich und entscheidet sich dann doch, dem Über-Ich zu folgen,

empfindet er das Gefühl der Sühne. Damit er sich jedoch mit seinem Über-Ich versöhnen kann, muß er ihm ein Opfer in Form des Erleidens einer Strafe bringen. Viele Menschen bestrafen sich in einem solchen Fall unbewußt selbst, z. B. durch Krankheit, Unfälle, Fehlleistungen, etc., oder sind dankbar und erleichtert für eine Strafe von außen, die sie oft selbst herbeiführen. So kommt es zum Beispiel gelegentlich vor, daß ein Einbrecher seinen Personalausweis in der aufgebrochenen Wohnung verliert.

Das aggressive Über-Ich, das das Ich des Menschen mit Hilfe von Schuldgefühlen angreift, macht ihm Angst. Diese spezifische Angst nennen wir Schuld-Angst.

 

 

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