Freudsche Psychoanalyse

 


Psychische Antriebe

Das Es oder: Was treibt uns?

Das Es oder: Was treibt uns ?

Die kopernikanische Wende im Verständnis des Menschen von sich selbst führte Sigmund Freud mit der Erkenntnis herbei, daß der Mensch nicht vorwiegend bewußt sein Denken und seine Handlungen bestimmt, sondern daß es vorwiegend ihm unbewußte Gefühle sind, die ihn bewegen, daß der Verstand, die Intelligenz des Menschen meistens lediglich die Magd seiner ihm größtenteils unbewußten Affekte ist.

Diese Entdeckung Freuds kränkt den im allgemeinen größenwahnsinnigen Menschen, ebenso, wie die Erkenntnis Darwins, daß der Mensch nicht von irgendeinem Gott geschaffen wurde, sondern vom Ur-Affen abstammt, ihn in seinem Stolz verletzte; ähnlich wie die Erkenntnis des Kopernikus, daß die Erde nicht das Zentrum des Weltalls ist, und wie die Erkenntnis von Marx, daß Reichtum nicht durch Arbeit entsteht (sonst wären alle Arbeiter Millionäre), sondern durch die Ausbeutung von Menschen, die ihre Arbeitszeit verkaufen, durch Menschen, die mit ihrem Geld diese Arbeitszeit kaufen (wodurch das Geld dieser immer teurer und die Arbeit jener immer billiger wird) und daß der Nationalismus den praktischen Zweck hat, diese Ausbeutung der Arbeit durch das Kapital unter dem Make-Up einer nationalen Einheit zu verstecken. *Sinnigerweise werden diejenigen, die Ihre Arbeit verkaufen "Arbeitnehmer", und diejenigen die diese Arbeit billiger kaufen und teurer verkaufen "Arbeitgeber" genannt, was den Zusammenhang sprachlich in seinen Gegenteil verdreht und verfälscht.

Freud war der Ansicht, daß der Verstand des Menschen nicht "der Herr im eigenen Haus" ist. Er verglich die Situation des Menschen mit einem Reiter (das ICH) auf einem Pferd (das ES), wobei das Pferd bestimmt, wohin sich die beiden bewegen. Er sah den Menschen vielmehr als einen Bewegten denn als einen Bewegenden, vielmehr als ein determiniertes denn als finales Wesen, vielmehr als ein Objekt seines Unbewußten denn als ein Subjekt. Heute würde Freud vielleicht sagen, daß der Mensch ein vorprogrammiertes Wesen ist, wie ein Roboter, offen für alles, was seinen wahnhaften Stolz bestätigt und blind gegenüber allem, was seinem Größenwahn widerspricht.

"Auf einen einzutreten macht Spaß. Das erste Mal faßt man sich an den Kopf, aber das zweite, dritte Mal, da reizt es einen, mitzumachen. Größtenteils gehen wir nur noch hinter den Kanaken her, Türken. Und wenn ich daran denke, wie die sind, hab` ich kein Erbarmen", sagt ein rechter Skin aus dem Osten. Gewalt begeistere ihn, sagt auch Klaus. Deshalb habe er 'Sieg Heil' mitgebrüllt, in der Gruppe. 'Ich weiß auch nicht, was da in mir vorgeht, wenn ich das einfach mitmache. Das gibt so `nen Kick. Das hat mit Krieg zu tun.' (..) Den Haß auf die Ausländer, da ist sich Klaus ganz sicher, 'krieg` ich nicht mehr los'.( Dachs, Gisela: Den Haß krieg` ich nicht mehr los. In: Die Zeit Nr.1 vom 1.1.1993>)

Freud nannte das, was uns wesentlich und ursprünglich bewegt, bestimmt und determiniert: das ES. Insbesondere für die wunderbare deutsche Sprache war ES ein glücklicher Begriff: "ES hat mich geärgert, ES hat ihn gefreut, etc." enthält von selbst das ES als Subjekt, in anderen Sprachen geht dieser Zusammenhang leider verloren.

ES ist der Grund alles Lebendigen, das Prinzip und die Kraft des Lebens, raum- und zeitlos. Das Es ist als solches der menschlichen Erkenntnis unzugänglich, ES läßt sich nur anhand seiner Äußerungen wahrnehmen. Alles Lebendige existiert einerseits dadurch, daß ES seine Art aufrechterhält und sich vermehrt und andererseits dadurch, daß ES seine individuelle Existenz und Form bewahrt.

Pflanzen, Tiere, Menschen, alles Lebendige ordnet sowohl das individuelle Leben der Erhaltung und der Vermehrung der eigenen Art unter, als auch das Leben anderer dem eigenen individuellen Leben. ES sind die beiden Triebe, der sexuelle und der aggressive, die im Widerspruch zueinander stehend das Leben tragen.

Unsere Gefühle bestehen sämtlich jeweils aus bestimmten Vermischungen von Ableitungen dieser beiden Triebe, sie bedingen sich gegenseitig wie die Nacht den Tag, sind jedoch nie gänzlich voneinander zu trennen. Die fernöstliche Philosophie hat für diesen Zusammenhang das Bild von Yin und Yang hervorgebracht.

Die Sexualität (im weitesten Sinne verstanden) dient der Erhaltung der Art und vernachläßigt das Individuelle, die Aggressivität (im weitesten Sinne verstanden) dient der Erhaltung des Individuums und vernachläßigt das Gemeinsame. Die Befriedigung dieser Triebe, die nur teil- und zeitweise möglich ist, wird als Lust erlebt.

Es wird davon ausgegangen, daß die menschlichen Triebe zunächst grenzen- und zügellos sind und erst durch Erziehung, Kultur (vgl. Freud: Das Unbehagen in der Kultur), gesellschaftliche Normen, kurz und etwas vereinfachend gesagt: durch Anpassung zu der als "normal" bezeichneten Form finden.

Diese Anpassung ist ein Vorgang nicht unähnlich dem Anpassungs-Verhalten der Tiere: Ein Raubtier, das zügellos seine Beutetiere reißt, wird letztendlich verhungern. Es muß sich zurückhalten, wenn es auch später noch Beute finden will. Bei einem Überangebot an Beutetieren kommt es dann manchmal zu Überschußreaktionen, wie beispielweise bei den australischen Dingos, die in einer eingezäunten Schafherde in einen Blutrausch verfallen und viel mehr Schafe reißen, als sie fressen könnten.

So überlebt auch der Mensch am besten, wenn er seine Triebe im Zaume der Kultur hält.

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This document was updated 13.06.98.
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